SRF Doku: Hochsensibilität bei Männern – Reizüberflutung bis zum Burnout?

Jede fünfte Person ist hochsensibel und nimmt Reize besonders intensiv wahr – was oft zu starken Emotionen führt. Betroffene Männer neigen häufiger dazu, ihre Gefühle zu unterdrücken. Nicht selten endet das mit Depressionen oder in einem Burnout.

Hochsensibilität ist für viele Männer noch immer ein Tabu. Im Gespräch mit rec.-Reporter Simon Reinker brechen Betroffene ihr Schweigen und erzählen von ihrem Leidensdruck. «Die negativen Gefühlswellen schwappen über mich und es hört und hört nicht auf.» Früher hat sich Flurin gefragt, weshalb es ihm emotional so viel schlechter als anderen geht. Seit er weiß, dass er hochsensibel ist, hat er zumindest eine Erklärung. Adrian erging es ähnlich. Vor zehn Jahren erlitt der Lehrer ein Burnout. Seit ihm klar ist, dass er hochsensibel ist, vermag er sich besser zu schützen – indem er sich Pausen gönnt und Grenzen nicht überschreitet. Aber die Hochsensibilität hat, laut Flurin, auch ihr Gutes und sei manchmal wie eine Superkraft. Seine empathische Art sei wie ein Türöffner in die Herzen.

© SRF Schweizer Rundfunk (02.09.2024), hier der Link zur Mediathek SRF

Dauer: 20 Min, Deutsche Untertitel verfügbar (rechte Mouse-Taste)

Hochsensibilität: Bin ich nur feinfühlig oder überempfindlich? (SWR1, 2023)

Bin ich hochsensibel? Wie ihr Feinfühligkeit erkennen, verstehen und nutzen könnt. Und: wie sich die negativen Seiten der Hypersensibilität umgehen lassen.

»Überempfindlich für Lärm, Gerüche oder andere sinnliche Reize und das so krass, dass man viel schneller erschöpft ist als andere und man im Alltag da ganz schön drunter leidet.« Youtube-Channel „PsycholoGeek“ von „funk“ (ARD/ZDF)

Hier der Beitrag zum Anhören oder Download beim SWR1:

Co-Abhängigkeit: Wieso bin ich nicht früher gegangen?(WDR-Doku, 2022)

Einen Menschen lieben, der süchtig ist. Chandika und Jil haben das beide erlebt – auf ihre eigene, ganz unterschiedliche Art. Hinter suchtkranken Menschen steht meist ein Partner, der auch an der Situation und der Sucht leidet. Nur wenige von ihnen können sich aus der toxischen Konstellation lösen – sie sind co-abhängig. Bei Jil war es die erste große Liebe mit Anfang 20. Chandika heiratet vor 35 Jahren ihren Partner und bekommt mit ihm zwei Kinder.

In beiden Beziehungen gibt es die dunklen Momente im Zusammenleben: Das Verheimlichen des Konsums, die Lügen und die auftretenden Selbstzweifel – aber auch die Hoffnung, die Abhängigkeit in den Griff zu bekommen. Hinzu kommen die emotionalen und auch körperlichen Übergriffe, die mit jedem Konsum normaler werden. In Deutschland leben rund zwei Millionen Menschen mit einer Suchterkrankung. An ihrer Seite: Menschen wie Chandika und Jil – Ehepartner:innen, Lebensgefährt:innen, Eltern und Freund:innen, deren Leid oft übersehen wird. Hier der Film (YouTube)

15 Schätze einer Kuschelparty

15 Schätze, bereit zum heben

Hier eine Auswahl an Schätzen, es gibt so viele mehr. Jeder Schatz begleitet von einem Zitat des Moments. Zitate des Moments entstehen spontan beim Sharing im Abschlusskreis der Conscious Cuddle Experiences – vor Zeugen (!).

1.) Den Alltag hinter sich lassen

2.) Verantwortung für das eigene Wohlergehen übernehmen

3.) Authentisch sein

4.) Die Entdeckung des Neins

5.) Die Entdeckung des Jas

Den ganzen Text findet ihr hier

Neurodiversität in der Psychotherapie: Vielfalt als neue Normalität

Was ist Neurodiversität?

Der Begriff Neurodiversität wurde erstmals Anfang der 1990er Jahre unter anderem von der australischen Soziologin Judy Singer benutzt, um darauf hinzuweisen, dass es eine Vielfalt, also eine Diversität, von Hirnfähigkeiten gibt (Singer, 2017). Judy Singer, die selbst von Autismus betroffen ist, beschrieb die Wichtigkeit der persönlichen Erkenntnis, dass die Ansprüche der »normalen« Welt um sie auf statistisch häufigen Annahmen von Hirnfähigkeiten beruhen. »Normale« Hirnfähigkeiten sind demnach nicht die einzig richtigen oder gesunden, sondern einfach die statistisch häufigen. Sie selber konnte ihre eigenen Hirnfähigkeiten folgerichtig als »selten« oder »divers« beschreiben und nicht mehr notwendigerweise als »unnormal“ oder »krank«. Daraus ergibt sich, dass die früher als »normal« bezeichneten Hirnfähigkeiten nun einfach nur als »neurotypisch« bezeichnet werden können. Der Begriff »Normalität« wird wieder frei für die Tatsache, dass Diversität normal ist, dass es normal ist, dass es seltene Hirnfähigkeiten gibt. Für die klinische Praxis bedeutet das, dass ein Patient, der bisher diagnostisch als ’norm-abweichend‘ betrachtet wurde, nun als neurodivers angesehen wird. Die Therapieansätze können sich entsprechend ändern, weg von der Idee, die Person »normal« machen zu müssen, hin zu einem Ansatz, der ihre spezifischen Bedürfnisse und Stärken berücksichtigt.

Welche Störungsbilder greifen auf das Konzept der Neurodiversität zurück?

Störungsbilder wie eine Autismus-Spektrum-Störung, ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom << z.B. ADHS / ADS / HSP>>, eine Teilleistungsschwäche, ein Fetales Alkoholsyndrom und viele genetische Syndrome werden im Wesentlichen durch verschiedene Ausprägungen von unterschiedlichen Hirnfähigkeiten klinisch relevant. Am häufigsten wird diese Diversität der Hirnfähigkeiten bei

  • der Wahrnehmungsverarbeitung,
  • dem Arbeitsgedächtnis,
  • der Impulskontrolle,
  • der Aufmerksamkeitsleistung,
  • der kognitive Flexibilität und
  • den sozial-emotionale Fähigkeiten


beschrieben.

All diese Fähigkeiten sind Bausteine, um in einer Welt mit neurotypischen Anforderungen und Erwartungen relativ leicht und reibungslos eine erfolgreiche Teilhabe zu erreichen.

Menschen mit »diversen« Hirnfähigkeiten scheitern oft an den neurotypischen Anforderungen ihrer Umwelt und werden wegen ihrer Anpassungsschwierigkeiten als »krank« bezeichnet. Aber ist es per se krank, wenn ein junger Mensch keine lauten Geräusche verträgt? Wenn ein junger Mensch häufige Methodenwechsel benötigt und nicht still sitzen bleiben kann? Ist es wirklich an sich krank, wenn sozial-emotionale Anforderungen intensiver als sonst erläutert und begleitet werden müssen? Wenn Aufgaben klarer und strukturierter gestellt werden müssen? Wenn das Arbeitsgedächtnis durch Aufgabenlisten und Erinnerungen unterstützt werden muss?

Neurodiversität an sich ist keine Krankheit

Forschungen und Weiterentwicklungen des Konzeptes von Neurodiversität zeigen, wie wichtig das Selbstbild speziell von Menschen mit einer Neurodiversität ist (Zimpel & Hurtig-Bohn, 2016). Dieses sich entwickelnde Selbstbild scheint ab den ersten Symptomen an stark davon beeinflusst zu sein, ob ein Verhalten als eine Krankheit oder als Folge einer Überforderung angesehen wird. Eine Überforderung, die entsteht, wenn die Anforderungen und Erwartungen der Umwelt nicht den Möglichkeiten des Individuums entsprechen.

Ähnlich wie in der Natur, in welcher Vielfalt wichtig ist, um das gesamte ökologische System gesund zu halten (die sog. Biodiversität), ist auch in der Gesellschaft Vielfalt gesund. Diversität verschafft neue Impulse und Entwicklungsmöglichkeiten. Und Diversität kann auf Schwachstellen von aktuellen Entwicklungen hinweisen, wenn zum Beispiel immer mehr Menschen mit ihren Anpassungsmöglichkeiten an ihre Grenzen kommen. Wir als Gesellschaft können unsere Schlüsse aus solchen Überlastungen von Einzelmenschen ziehen. Wir müssen uns dankbar fragen, ob wir diese Art von sozialer Belastung und Herausforderung tatsächlich wollen. Wir können uns fragen, in welcher Art von sozialer Struktur wir leben wollen, mit welchen Teilhabemöglichkeiten von möglichst vielen Menschen.

Diversität und Hilfebedarf

So treffend der Begriff Neurodiversität ist, so gibt es natürlich auch Vorbehalte und Kritik. Zum einen beschreibt der Begriff Neurodiversität das gesamte Spektrum der Hirnfähigkeiten, d.h. Menschen mit neurotypischen Fähigkeiten sind Teil der Diversität. Begriffe wie Neurodivergenz oder Neurominorität sind entstanden, um eingeschränkte oder abweichende Hirnfähigkeiten zu benennen, haben aber ihre eigenen Schwierigkeiten. Es gibt auch den Vorbehalt, dass der Begriff Neurodiversität den Eindruck erweckt, dass Anderssein immer genial und bereichernd ist.

Manche Menschen sind aber in ihren Fähigkeiten so anders, dass eine Teilhabe stark eingeschränkt ist und dass ein starker Leidensdruck bei dem Individuum selber oder bei der Umwelt entsteht. Das heißt, dass Anpassungsversuche der Umwelt nötig sind, welche einerseits angeboten werden müssen, welche aber auch von den betroffenen Personen eingefordert bzw. akzeptiert werden müssen. Hilfe kann sich wie eine Überwältigung anfühlen; ein Hilfsangebot wie eine Abwertung.

Die Wichtigkeit vom Selbstverständnis

Die Idee der Neurodiversität mit einem klaren Bekenntnis nicht nur zu den genialen Seiten des Andersseins, sondern auch zu der Tatsache, dass Anderssein Schwierigkeiten mit sich bringen kann, fordert ein neues Verhältnis zu eigenen Unzulänglichkeiten heraus. Wie stark ist es in unserer Gesellschaft Hilfe einzufordern? Wie akzeptiert ist es, etwas nicht zu können und dies auch laut zu sagen, damit es gemeinsam und mit Unterstützung besser klappt?

Damit der Gedanke der Neurodiversität nicht nur für hochfunktionale Menschen mit Autismus eine Selbstbestätigung der eigenen Besonderheit bleibt, braucht es das Angebot der Gesellschaft, dass es stark ist, sich mit den eigenen Schwächen zu beschäftigen. Dass es erwachsen und sozial reif ist, Hilfe einzufordern und in Anspruch zu nehmen. Hier kann jede:r einzelne von uns Therapeut:innen den Boden dafür bereiten, dass das Selbstverständnis der Betroffenen und der Menschen in ihrem Umfeld (wie wir Therapeut:innen selbst, Eltern und Erzieher:innen) flexibel genug ist, um eine erfolgreiche Teilhabe zu ermöglichen.

Eine Aufgabe von uns als Behandler:innen ist es, unsere Patient:innen zu befähigen, ihre neurodiversen Hirnfähigkeiten im Spektrum von Schwäche/Stärke und Einschränkung/Potential zu betrachten. Indem wir einen Raum schaffen, der frei von Stigmatisierung ist, fördern wir ein Selbstverständnis, das sowohl die positiven als auch die herausfordernden Aspekte des Andersseins umfassen darf.

Unsere therapeutische Unterstützung kann dazu beitragen, dass die Betroffenen lernen, ihre individuellen Einschränkungen, Stärken und Bedürfnisse klar zu kommunizieren und dabei Hilfe als wichtige Ressource zu begreifen, die ihre Lebensqualität verbessern kann. Durch den Einbezug von Eltern, Erzieher:innen und Freunden in den Therapieprozess schaffen wir dabei nicht nur ein tieferes Verständnis für die Neurodiversität, sondern sind selber ein Modell für Inklusion und gegenseitiger Unterstützung.

Literatur

Singer, Judy (2017). NeuroDiversity: The Birth of an Idea.
Zimpel, A.F. & Hurtig-Bohn, K. (2016). Autismusspektrum und Neurodiversitätsforschung. Normal ist doch verschieden – Verschieden ist doch normal. Praxis Sprache, 4, 245-250.

Autor


Jörg Liesegang ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Verhaltenstherapeut und Systemischer Supervisor (DGSv). Als Oberarzt am Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge in Berlin leitet er eine Tagesklinik sowie die Psychiatrische Institutsambulanz mit der Spezialsprechstunde u.a. für Fetale Alkoholspektrumstörung. Schwerpunkte seiner Arbeit sind zudem die Ermöglichung von Teilhabe bei psychischen Behinderungen. Bei Beltz hat er das Kartenset »Ich kann das anders! Neurodiversität verstehen. 100 Karten für die Therapie mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen« und das Fachbuch »Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD) bei Kindern und Jugendlichen. Praxisbuch zur Teihabe-Ermöglichung« veröffentlicht.

(C) 2024 und vollständiger Artikel hier beim Beltz Verlag

Verbreitung der Einsamkeit in Deutschland

Ergebnisse im Kompetenznetz Einsamkeit des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus den Jahren 2013 und 2017 legten nahe, dass in den beiden Jahren ungefähr 14 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen zumindest manchmal einsam waren. Während der Corona-Pandemie zeigten verschiedene Studien einen deutlichen Anstieg von Einsamkeitsgefühlen in der Bevölkerung. So gaben im SOEP 2021 rund 42 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen an sich einsam zu fühlen.

Einsamkeit ist bei jungen Erwachsenen und sehr alten Menschen am höchsten. Vor der Corona-Pandemie waren besonders Menschen über 75 Jahren von Einsamkeit betroffen, gefolgt von Menschen zwischen 30 und 45 Jahren, danach folgten Menschen unter 30 Jahren. Während der Corona-Pandemie verschob sich dieses Verhältnis und junge Menschen unter 30 Jahren waren ebenso besonders einsam.

Während der Corona-Pandemie zeigte sich in Bezug auf das Alter eine Umkehr in den Einsamkeitszahlen. Vor allem bei jüngeren Menschen war eine Zunahme der Einsamkeit zu verzeichnen. Von den unter 30-Jährigen fühlten sich 48 Prozent einsam, während es bei den 30- bis 45-Jährigen etwa 46 Prozent waren. Im Gegensatz dazu waren die über 75-Jährigen, die zuvor die höchsten Einsamkeitswerte aufwiesen, mit nur rund 36 Prozent am wenigsten betroffen. Dieser Trend während der Corona-Pandemie lässt sich auf die Tatsache zurückführen, dass das soziale Leben junger Menschen häufig außerhalb des eigenen Haushalts stattfindet und ihre Freundeskreise in der Regel größer sind als bei älteren Menschen.

Gemäß der Studie „Extrem einsam?“ des Progressiven Zentrums e.V. besteht ein potenzieller Zusammenhang zwischen Einsamkeit unter Jugendlichen und ihrer Distanz zu Demokratie. Die Forschung zeigt, dass jugendliche Einsamkeit autoritäre Einstellungen begünstigen kann. Wenn sich Menschen in der Jugend häufig einsam, isoliert und missverstanden fühlen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie Verschwörungserzählungen glauben, politische Gewalt befürworten und autoritären Haltungen zustimmen.

Hier der komplette Artikel

Umgang mit Trauma in der Bonding Gruppentherapie

Für die körperbasierte Trauma-Gruppentherapie „Bonding“ (nicht zu verwechseln mit dem Fetisch!) möchte ich einen Auzug aus dem Skript „Bonding & Trauma (Ute Schreckenberg, Daniela Feuerhak, Dan Casriel-Institut, Bad Grönenbach 2009)“ erwähnen, der für die Kuscheltherapie ebenso essentiell wie wichtig ist, da ja auch Teilnehmer*innen mit traumatischem Hintergrund willkommen sind, und hier besonders behutsam auf ein stimmiges Tempo, die körperliche Kontakt-Ebene und die eigenen Grenzen geachtet werden muss:

Welche Auswirkungen hat Traumatisierung für die Betroffenen und was bedeutet das für uns in der Bonding-Psychotherapie?

Physiologisch sind traumatisierte Menschen dünnhäutig und häufig schnell überreizt, mit all den Facetten, die uns als PTBS bekannt sind. Diese Vulnerabilität ist keine gute Voraussetzung für eine emotionsfokussierte Körperpsychotherapie wie die Bonding-Psychotherapie.

Fragmente dieser lebensbedrohlichen Erfahrungen sind leicht triggerbar durch spezifische Kontaktkonstellationen, bestimmte Worte, Stimmen, Gerüche…… Es kommt dann zur Wiederbelebung von Traumamaterial in Form von emotionaler Überflutung, Flash-Backs, Körpersensationen. Dies wird nicht als Erinnerung erlebt, sondern als ob die ursprüngliche traumatische Einwirkung genau jetzt wieder geschieht. Häufig wird diese Überflutung erneut durch eine erlösend wirkende Dissoziation gestoppt. In diesem Zustand können Traumatisierte nicht zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden.“

„Wenn meine Bindung als Kind zu wichtigen Bezugspersonen tief gestört, verunsichert oder sogar chaotisch ist, dann brauche ich umso mehr etwas Verbindendes, weil ich als Kind ohne Bindung nicht sein kann. Wenn ich dann auf mich mit dem Blick meiner misshandelnden Eltern schaue und deren Einstellungen über mich übernehme, verbindet mich das mit ihnen. Dies ist ein unbewusster Vorgang, um Bindung zu sichern. Die Überlebensstrategie, die hinter der Entwicklung von Täter-Introjekten steckt, macht es notwendig, traumatisierten Menschen viel Zeit und Behutsamkeit fur die Entwicklung neuer Selbstkonzepte anzubieten.

Der häufige, meist wenig reflektierte Wechsel von Bondingpartnern bietet bindungstraumatisierten Menschen keine ausreichende Vertrauensbasis und fördert ungeklärte Projektionen und Spaltung.

Die aufgezeigten Risiken haben zu Erweiterung unseres Konzeptes geführt:

  • Einbeziehung des traumatherapeutischen Paradigmas und traumatherapeutischer Methoden
  • Fokus auf Resilienzförderung und korrigierende Beziehungeserfahrungen
  • Veränderungen im Setting, um äußere Sicherheit zu etablieren
  • Annäherungsübungen, modifizierte Haltepositionen, modifizierte Konfrontationsregeln. Was bedeuten uns diese einzelnen Aspekte?

Einbeziehung des traumatherapeutischen Paradigma und Methoden

Wir beziehen uns hier auf die stabilisierenden Aspekte der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie (PITT) nach Dr. Luise Reddemann, vielen von Ihnen sicher bekannt. Voraussetzung ist eine klare therapeutische Struktur und eine transparente, nicht konfrontierende therapeutische Beziehung. Zumindest in den Anfängen der Beziehungsgestaltung ist die Konfrontation auf das Notwendigste reduziert. Wichtige methodische Aspekte sind das Erlernen von Techniken, überflutende Emotionen zu steuern, und eine ressourcenorientierte „Therapie auf der inneren Bühne“. Letztere beruht auf stärkenden, unterstützenden und heilenden Vorstellungen, den sogenannten Imaginationen. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Arbeit mit „dem inneren- Kind“ bzw. mit „jüngeren Ichs“ oder umfassender gesagt, mit verschiedenen Ego-States (Ich- Zuständen). Immer geht es darum, eine Distanzierung vom Traumaerleben, eine höhere Steuerungsfahigkeit und mehr Selbstfürsorge zu entwickeln. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Psychoedukation: wir versuchen, die verwirrenden und bedrohlichen Erfahrungen, die unsere KlientInnen gemacht haben, in ein Erklärungs- und Interpretationsschema einzuordnen.

Resilienzfördernde Faktoren der Bonding-Psychotherapie und das veränderte Setting [D.F.] Die psychische Widerstandskraft eines Menschen entwickelt sich im Wesentlichen auf dem Hintergrund seiner frühen Beziehungserfahrungen. Langzeitstudien haben jedoch gezeigt, dass unter bestimmten Umständen auch negative Prognosen zu einem guten Ausgang führen. Maßgeblich sind in diesem Zusammenhang die Förderung ressourcenorientierter Aspekte der Persönlichkeit und deren positiver Verstärkung aus der Umwelt. Das bedeutet für unser Setting im Wesentlichen folgendes: Wir müssen zunachst äußere Sicherheit herstellen. Im Vorfeld heißt das, dass wir eine deutlich ausgeprägte Anamnese machen, das bedeutet mehr telefonische Vorgespräche, längere Eingangsrunden (zum Leidwesen der „Alten“) komplexere Fragebögen, detaillierte Auswertung. Das bedeutet auch, dass wir uns flexibler auf die Bedürfnisse unserer Klienten einstellen, was ihr besonderes Bedürfnis nach Schutz, Rückzug und körperlicher Unversehrtheit betrifft und entsprechende Bedingungen schaffen. Sei es, dass wir vermehrt in Kleingruppen arbeiten, ruhige entlastende Methoden aus der inneren Kind Arbeit integrieren und/oder individuelle Vereinbarungen über Pausenzeiten oder Auszeiten von der Gruppe vereinbaren. Wir (Leiter*innen / Therapeut*innen) sind so gut wir vermögen feinfühlig, emotional aufrichtig und (langfristig) verlässlich. Wir achten darauf, dass das Setting Raum für individuelle Begegnungen lässt, bei Bedarf vor und nach einem Workshop, in jedem Fall aber währenddessen. Das bedeutet, dass wir heute mit deutlich kleineren Gruppen (maximal 16 Personen bei zwei Therapeuten) arbeiten.

Wenn der Kontakt abbricht, knüpfen wir an die unterbrochene Kommunikation an. So können Klienten, die das nie erlebt haben, Erfahrungen von Kontinuität in einer Beziehung machen.

Wir rekonstruieren gemeinsam Geschichte, geben Geschehenem Sinn, forschen nach hilfreichen Menschen in der Biografie, nach Erfahrungen von Zuversicht, Selbstkompetenz und Selbstvertrauen. Und wir entwickeln gemeinsame kohärente Geschichten und füllen sie mit positiven emotionalen Inhalten. Wo es sinnvoll ist, korrigieren wir mit Hilfe traumatherapeutischer Interventionen alte Erfahrungen. Wir erklaren mehr als früher, weshalb wir etwas tun, geben den Köpfen unserer Klienten mehr Nahrung, damit sie zuordnen können, was geschieht. Wir lassen sie ihre Erfahrungen mehr in Worte fassen, damit sie integriert werden können und wir üben mit ihnen, mit ihren Gefühlen in Kontakt zu gehen und sie steuern zu lernen, ohne von ihnen überflutet zu werden.

Vor allem fokussieren wir nicht mehr auf den emotionalen Ausdruck, die Katharsis, sondern auf die behutsame Annäherung an die eigenen Gefühle. Erst wenn im übertragenen Sinne „alle Mann an Bord sind“, das heißt alle Ich-Anteile sicher sind, bzw. an einem sicheren inneren Ort „gebracht“ sind, beginnen wir mit dem emotionalen Ausdruck. Im Kontakt zum Gegenüber, auch wenn dieser nicht unbedingt körperlich sein muss.

Wenn sich dissoziative Zustände, Überflutung oder Abreaktionen anbahnen und der Kontakt zum Partner nicht gehalten werden kann, unterbrechen wir emotionale Prozesse behutsam und reflektieren das Geschehen gemeinsam mit beiden beteiligten Klienten. Entgegen früherer Einschätzungen gibt das Erleben des Haltenden nicht nur Hinweise auf das Übertragungsgeschehen, sondern darüber hinaus hat die Beziehungsdynamik für beide Beteiligten Relevanz.

Heilsame Bindungen sind wachstumsorientiert, ermutigend, verlässlich, fördern die Individualitat und den Gemeinsinn.

Deshalb achten wir sehr darauf, dass Begegnungen in der therapeutischen Gemeinschaft so gestaltet werden. Als hilfreiches Korrektiv haben wir unter anderem eine modifizierte Form der Konfrontation gewählt, die es ermöglicht, mit dem Anderen konflikthaftes Material zu thematisieren ohne in Anklagen, Manipulation, Bewertungen und Übertragungen stecken zu bleiben. Wenn ein solcher Prozess gelingt, hat man es am Ende mit verantwortlichen Erwachsenen zu tun, die respektvoll mit dem anderen sein können, und gleichzeitig den Aspekten des Inneren Kindes Schutz gewähren.

Resilienz kann man lernen. Sie ist das Endprodukt eines Prozesses, der Risiken und Stress nicht eliminiert, der es dem Menschen aber ermöglicht, effektiv damit umzugehen. Oder, um es mit den Worten von Albert Camus zu sagen:

Mitten im Winter habe ich erfahren, dass es in mir einen unbesiegbaren Sommer gibt.

Alternative Haltemethoden [D.F.]

Gerade Menschen mit grenzüberschreitenden Erfahrungen, sowohl seelischer als auch körperlicher Art, fühlen sich durch unsere klassische Mattenhaltung leicht überrollt. Nicht nur sexuell missbrauchte Menschen (obwohl wir es bei denen als erstes erkannt haben), reagieren häufig panisch darauf, wenn sich ein fremder Mensch ziemlich unvermittelt auf sie legt. Und das gilt für sowohl die begleitende wie die aktive Rolle. Wir bieten neben dem „Stop!“, was nicht jeder Traumatisierte sagen kann, von Anfang an alternative Haltepositionen oder Kontaktangebote an. Dazu zählt die klassische Haltematte im Sitzen, die sich gerade für Prozesse des Nachnährens anbietet. Hier, wie bei jeder anderen Matte muss sichergestellt sein, dass der Haltende seine Rolle gut und mit hoher Präsenz ausfüllen kann. Eine weitere Option, gerade für Menschen mit einem anklammernden Bindungsstil ist die Distanzierungsmatte; in diesem Fall beginnt die Matte in der Nähe und der Haltende macht Erfahrungen mit seinen Gefühlen und Gedanken, wenn er sich trennt. Wieder andere Matten, z.B. bei sehr misstrauischen Menschen und solchen mit einem, immer aus gutem Grund, ablehnenden Bindungsstil oder keinem Bindungsverhalten beginnen in weitem Abstand. Ähnlich der Annäherungsübung arbeitet man hier mit Gedanken, Gefühlen und Impulsen, wenn das Annäherungsbedürfnis aktiviert ist. Ziel ist die Erfahrung, nicht der abschließende Körperkontakt. Wir arbeiten mit Haltepositionen, wie sie Kinder verschiedener Altersklassen bevorzugen würden; liegend mit dem Kopf auf dem gluckernden Bauch bei Regressionen in frühe Ich-Anteile, sitzend nebeneinander für die Älteren. Mehr denn je fragen wir nach den Impulsen unserer Klienten und so haben wir eine Vielzahl von Alternativen erlebt. Wir begleiten die Mattenerfahrungen durchaus über einen langen Zeitraum, um unsere Klienten zu sichern und um die Dynamik der Matte gut zu verstehen. Wir bieten häufig entlastende, wenig bedrohliche Halteerfahrungen an und intervenieren stärker. Wenn wir wissen, dass Lautstärke ein Katalysator fur Flashbacks ist, teilen wir die Gruppe in eine laute und eine leise Gruppe. Vor allem drängen wir nie auf emotionalen Ausdruck; wir machen im Gegenteil die Erfahrung, dass auch für unsere nicht traumatisierten Patienten entscheidende Bindungserfahrungen sich in der Stille vollziehen. Das heißt natürlich nicht, dass bei uns alle leise sein müssen, wir wollen nur alle Ich-Anteile mit im Boot haben.“

Hier geht es zu den Folien vom Vortrag und dem kompletten Skript (pdf) von Ute Schreckenber und Daniela Feuerhak (Dan Casriel Institut)